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Horst Gauss | |
| Ein seltsamer Samstagnachmittag - der Leidensweg des Hidir MenguesSamstag, der 23.03.1985, 13.00 Uhr. Die CSC-Bundesliga-Truppe wartet ungeduldig vor der Sporthalle Süd im großen Reisebus auf den Bantamgewichtler Klaus-Peter Griegel. Man will nach Leonberg zum fälligen Bundesliga-Kampftag aufbrechen, doch Griegel kommt nicht. Mit 8 Boxern die Reise antreten, heißt von vornherein, dass der Kampf in Leonberg verloren geht. Ulf Rausch dreht fast durch, alle schauen ihn vorwurfsvoll an, als ob er für das Fehlen von Griegel verantwortlich wäre. Der CSC liegt noch gut im Rennen, er kann die Deutsche Meisterschaft packen, doch dafür muss in Leonberg gewonnen oder zumindest unentschieden geboxt werden. Horst Gauß und Ulf Rausch machen sich so ihre Gedanken, wo könnte man auf die „Schnelle“ einen startberechtigten Ersatzmann her bekommen? Die scheinbar rettende Idee hatte Horst Gauß! Gauß hatte im vergangenen Jahr einen kleinen, sehr begabten Türken namens Hidir Mengues im Training gehabt. Dieser Mengues war mit wenigen Kämpfen Hessenmeister und internationaler Südwestdeutscher Meister 1984 geworden, hatte dann aber seine Laufbahn beendet, da er eine Handverletzung hatte. Laut Statut wäre dieser Mengues startberechtigt gewesen, denn er war Hessenmeister. Doch seit 6 Monaten hatte keiner mehr den kleinen Türken gesehen. Ob er wohl überhaupt noch in Deutschland war? Der CSC war in einer verzweifelten Situation. Man musste nach diesem Strohhalm greifen und versuchen, den kleinen Hidir zu finden. Also fuhr der Bus ohne Bantamgewichtler nach Leonberg, während sich Horst Gauß auf die Suche machte. 5 Stunden hatte er noch Zeit. 19.00 Uhr war in Leonberg Wiegetermin. Horst Gauß eilte ins Boxbüro, nahm den Boxpaß von Hidir Mengues und fand so die damalige Adresse von Hidir, nämlich in Rüsselsheim, Alzeyerstrasse 11. Das wart immerhin schon ein Teilerfolg. Doch würde er Hidir antreffen? Und würde Hidir auch boxen? Würde er überhaupt sein Gewicht bringen? Außerdem fehlte noch die Jahresuntersuchung und nur noch 5 Stunden Zeit. Eigentlich ein hoffnungsloses Unterfangen. Doch der Strohhalm war noch da. Gauß fuhr nach Rüsselsheim und erlebte den ersten Rückschlag seines Abenteuers. Die Alzeyerstrasse 11 war ein Arbeiter-Wohnheim der Opel-Werke, bestehend aus mehreren großen Wohnblöcken. Auch das noch! Gauß durchließ alle Blöcke, zeigte jedem den Boxpaß mit Mengues Bild, doch keiner kannte Hidir Mengues. Schließlich durchlief er alle Gänge, Trepp auf, Trepp ab, klopfte schon gar nicht mehr an, sondern riss in seiner Verzweiflung einfach die Türen der Wohnungen auf um selbst nachzuschauen. Nach einer Stunde hatte er die Familie Mengues gefunden. Der kleine Hidir war auch zufällig da. Über seinem Bett hing die Meisterschafts-Urkunde, doch boxen wollte er nicht. Vater Mengues kam mit viel sagender Geste zu Gauß, „mein Sohn nix boxen!“ Doch Gauß ließ sich nicht abwimmeln. Hidir sah die Notsituation ein, doch sein Vater war strikt dagegen. Zur Ehre der türkischen Gastarbeiter sei gesagt, nicht nur die Wohnung von Familie Mengues sah tip top aufgeräumt aus, auch die vielen anderen Wohnungen, die Gauß an diesem Nachmittag durchlaufen hatte, waren alle tadellos in Ordnung. Doch das half ihm nicht weiter. Hidir wollte nicht boxen. Gauß flehte und bettelte, es war zum Erbarmen und Erbarmen hatte dann schließlich der kleine Hidir, er ließ sich überreden, allerdings nur unter der Bedingung, dass er seinen Vater mitnehmen dürfe, damit dieser aufpasse, dass ihm nichts passiere. Vater Mengues hatte noch nie in seinem Leben einen Boxkampf gesehen. 15.00 Uhr kam die kleine Crew im Wasserweg an um Hidirs Gewicht zu überprüfen. Es war 15.00 Uhr, also noch 4 Stunden Zeit um nach Stuttgart zu kommen. Kein Problem. Doch alle Hoffnungen schwanden als Mengues von der Waage stieg. 57,5 Kilo, also 3,5 Kilo über dem Limit von 54 Kilo. Doch Gauß gab nicht auf. Hidir zog sich einen blauen Müllsack an, was Papa Mengues überhaupt nicht kapierte. Darüber die Trainingsklamotten und dann gings los. Schattenboxen, Seilspringen, leichte Sandsackarbeit. Mengues begann zu schwitzen. Auch die Sauna lief zwischenzeitlich auf Hochtouren. Um 16.00 Uhr hatte Mengues 3 Pfund abgenommen, noch immer lag er zwei Kilo über dem Limit. Nur noch eine Stunde Zeit zum Schwitzen und der Arzt musste ja auch noch aufgesucht werden. In der Sauna begann Hidir mit Schattenboxen. Vater Mengues verstand die Welt nicht mehr. „Was machen mit meinem Sohn?“ Hidir versuchte seinen Vater aufzuklären, doch das war viel zu viel für den alten Mann. Nun zog sich Hidir wieder den blauen Müllsack über den Kopf um den Schwitzeffekt zu beschleunigen. Da wurde es Vater Mengues zu viel. „Ah, Du machen meinen Sohn tot, Hidir nicht boxen!“ Er riss seinem Sohn den Müllsack vom Leib und zerrte den nackten Hidir durch den Umkleideraum. Gauß gab vorerst auf. Hidir zog sich wieder an, immer noch 3 Pfund über dem Limit. Um 16.30 Uhr wurde Dr. Scarlet in Gravenbruch bei seinem Mittagsschlaf gestört, um noch schnell die Jahres-Untersuchung durchzuführen. Vater Mengues atmete schließlich auf. Das Böse von vorhin wurde jetzt also wieder gut gemacht! Noch zwei Stunden Zeit bis zum Wiegebeginn in Stuttgart-Leonberg und noch 3 Pfund über dem Limit, es musste etwas geschehen. Nur eine Lassex-Pille konnte noch die Situation retten. Hidir schluckte sie bereitwillig, jene kleine Zuckerpille, die das Wasser mit Gewalt aus dem Körper treibt., die aber auch die Kräfte raubt. Nicht so schlimm, Gauß und Hidir waren sich sowieso einig, dass gleich in der ersten Runde das Handtuch geworfen würde, aber wenigstens war dann der vielleicht entscheidende Kampfpunkt gerettet. Nach einer Stunde Fahrt passierten dann seltsame Dinge. Vater Mengues konnte nicht verstehen, dass sein Sohn alle 10 Minuten das Auto verlassen musste um Wasser zu lassen. „Ich nicht verstehen, warum Hidir immer pinkeln, noch nie so gewesen, ich mich schämen!“ Hidir hatte es längst aufgegeben, seinem Vater den Sachverhalt zu erklären. Da waren Welten dazwischen. Er zwinkerte seinem ehemaligen Trainer zu und verließ wieder kommentarlos das Auto um Wasser zu lassen. Pünktlich 19.00 Uhr erreichte die kleine Crew die Leonberger Sporthalle. Ulf Rausch stand schon nervös am Eingang und fiel Gauß um den Hals, als er ihn mit Mengues kommen sah. Schnell wurde gewogen und siehe da, Hidir hatte Untergewicht, nur 53,5 Kilo. 4 Kilo hatte er also in der kurzen Zeit abgenommen, es war geschafft! Doch wer nun dachte, das Abenteuer sei vorbei, hatte nicht mit Vater Mengues gerechnet. Als er so seinen Sohn nackt auf der Waage beim Wiegezeremoniell sah, überkam ihn Unverständnis und Wut zugleich, standen doch da lauter Männer drum herum und sahen neugierig zu. Er packte seinen verdutzten Sohn und zog ihn von der Waage. „Du nix boxen, hier alles Scheiße, wir nachhause gehen?“ Nicht mit Geld und guten Worten war der Vater dazu zu bewegen, seinen Sohn boxen zu lassen. Olaf Rausch schwor ihm, sofort in der ersten Runde das Handtuch zu werfen, doch was wusste der alte Mann schon, was ein Handtuchwurf bedeutete. Hidir sollte nicht boxen. Da kam Ulf Rausch die rettende Idee. Er ließ statt Mengues den gerade für den CSC frei gewordenen Christof Niemkiewic boxen, der eigentlich nur als Zuschauer mitgefahren war. Es durften ja drei Ausländer boxen. So stiegen Burton, Niemkiewic und Coleman in den Ring. Der CSC boxte unentschieden gegen Leonberg und wurde im selben Jahr Deutscher Meister. |
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