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Horst Gauss | |
| Beckers ElfriedeDrei Tage vor der standesamtlichen Trauung knallte es richtig zwischen den Eheleuten in spe - im Klartext: in Hoffnung -, sodass die geplante Hochzeit fast ins Wasser gefallen wäre. Kurt, der Bräutigam, saß in seiner Stammkneipe "Zum dicken Bären", trank ein Bier nach dem anderen und genoss die "Sternchen-Blicke", die ihm die dralle Wirtin, genannt "Beckers Elfriede", zuwarf. Er war schon reichlich betrunken, aber dennoch rief er sich ins Bewusstsein, dass er Elfriedes Blicke nicht erwidern durfte; dass er hart sein musste - hart gegen sich selbst. Schließlich stand ja seine Hochzeit bevor - mit Sylvia! Heute war der 15. August, und drei Tage später wollte er mit seiner geliebten Sylvia den heiligen Bund der Ehe eingehen und vor den Traualtar treten. Anfangs schaute er noch weg, tat so, als würde er Elfriedes heißblütige Blicke gar nicht bemerken. Aber dann ertappte er sich immer häufiger dabei, dass er "Beckers Elfriede" verstohlen betrachtete, und dass sich ihre Blicke immer öfter und immer länger trafen. "Was soll das?! ", sinnierte Kurt reichlich verunsichert. Sie wusste doch, dass er vergeben war, und in den Jahren zuvor hatte sie ihn doch kaum beachtet. Sylvia war an diesem Abend mit ihren Freundinnen unterwegs, und sie hatte ja auch eigentlich nichts zu befürchten. Denn ihr Kurt war im Grunde ein anständiger, ein standhafter Mann. Und so kurz vor der Hochzeit, also wirklich! Da würde er sich schon mal gar nicht solch einen riskanten Ausrutscher leisten ... - sollte man meinen! Doch wie es der Teufel will - das Leben geht manchmal andere, recht seltsame Wege! Hier die geile Elfriede so greifbar nahe, dort die brave Sylvia so weit weg ... - die Situation war prickelnd und verlockend zugleich. Freund Alkohol tat ein Übriges, er vernebelte Kurts Gedanken vollends. Und er war wohl nicht mehr so ganz bei Sinnen, als er gegen ein Uhr feststellte, dass er nur noch der einzige Gast im Lokal war, und dass Elfriede Anstalten machte, das Lokal zu schließen. "Halt, ich will raus! ", rief er, meinte es aber tatsächlich wohl nur halbherzig ernst. Denn für ihn stand schon seit circa einer Stunde fest, dass er "Beckers Elfriede" jetzt und hier, bei dieser günstigen Gelegenheit, vernaschen würde - komme, was wolle! Zumal ihr langjähriger Freund, der "doofe" Otto - so wurde er allgemeinhin von den Stammgästen hinter vorgehaltener Hand genannt - verreist war. "Einmal ist keinmal! ", so verharmloste er vor sich selbst seine verwerflichen Gedanken, "das Glück ist doch so nah! " "Beckers Elfriede" ging dann mit verführerisch wogenden Hüften zur Musikbox, suchte nach einem passenden Musikstück und drückte C 7. "It´s now or never" erklang die Stimme von Elvis schmalzig und schnulzig aus dem Musikgerät, und es wurde Kurt augenblicklich ganz warm ums Herz. Elfriede kam zu ihm, riss ihn förmlich vom Stuhl und tanzte mit ihm heiß und innig. Kurt fühlte sich schwach, und von Minute zu Minute schwächelte er mehr. Und als Elfriede dann auch noch das Licht ausknipste und ihn mit sich ins Nebenzimmer zog, da war's um ihn geschehen. Dort stand der große Billardtisch, den man aber durchaus auch für andere Dinge gebrauchen konnte - wie es sich zeigen sollte. Denn auf einmal fand Kurt sich, rücklings auf eben jenem Tisch liegend, wieder. Und über ihm seine Trauzeugin, Beckers Elfriede, die ihn herzte, drückte und hemmungslos an ihm herumfummelte. Ihre Klamotten flogen nur so von ihren erhitzten Körpern, und was dann geschah, das geht keinen Dritten was an. Kurt und Elfriede durchlebten glückliche Stunden voller Hingabe und Leidenschaft. Kurt erlebte zum ersten Mal in seinem Leben, was noch so alles im Bett bzw. auf dem Billardtisch zwecks Luststeigerung möglich war. Und ihn quälten hinterher trübsinnige Gedanken: "Warum konnte - warum durfte - er so etwas nicht mit seiner Sylvia erleben? " Er fühlte sich wie im siebten Himmel. "Ach, wenn es doch für immer so bliebe! ", schoss es ihm durch den Kopf und klammerte sich in seinem Lustzentrum fest. Doch in drei Tagen sollte er seine Sylvia heiraten, und Elfriede war ja nur seine Trauzeugin. Kurt und Sylvia kannten sich seit drei Jahren; sie liebten und sie zankten sich, waren seit einigen Monaten verlobt, und sie hatten sich fest versprochen, ein gemeinsames Leben "bis dass der Tod sie scheidet! ", miteinander zu führen. Rudi, Sylvias Vater, war Gastwirt - deshalb hieß seine Kneipe ja auch "Zum Rudi". Er war konsequent und konservativ eingestellt; er achtete stets drauf, dass sein Name einen guten Ruf behielt, und zwar in der ganzen Umgebung. Als Sylvia ihm nun von ihrem Herzenswunsch, nämlich von der bevorstehenden Heirat erzählte, fragte er sie voller väterlicher Fürsorge, ob sie sich das denn auch gut überlegt hätte. Aber als sie ihm gestand, dass Kurt ihre einzige, ihre große Liebe sei, und dass sie sich ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen könnte, da schritt Rudi sogleich zur Tat. Er besorgte die notwendigen Papiere, er legte die standesamtliche Trauung fest, er schrieb die Einladungsliste. Mindestens dreißig Gäste sollten es von seiner Seite aus sein; es sollte schließlich ein standesgemäßes Fest werden! Die Verwandtschaft, in ganz Deutschland verteilt, sollte auf seine Kosten anreisen. Und Kurt lud natürlich auch seine Familie, seine Freunde und einige seiner Arbeitskollegen ein. Das waren noch mal zwanzig Personen. Auch Sylvia hatte etwa ein Dutzend Freundinnen und Freunde, die nebst ihrem Anhang unbedingt an ihrem Ehrentag dabei sein sollten. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren - alles lief nach Plan! Die glücklichen Brautleute freuten sich auf das große Ereignis und auch über das Mitgefühl seitens der vielen Freunde und der Tanten und Onkels, das ihnen entgegengebracht wurde. Und nun das! - Drei Jahre lang waren sich Kurt und Sylvia in Treue ergeben gewesen, und nun, kurz vor ihrem lang ersehnten, gemeinsamen Lebensabschnitt strauchelten sie, war aus ihren hoffnungsvollen Plänen für die Zukunft ein Desaster geworden. Denn jetzt säuselte Elfriede Kurt aufreizende Versprechungen ins Ohr ... - nicht seine holde, fast schon angetraute Sylvia. Komischerweise hatte Kurt aber kaum Gewissensbisse. In diesem Augenblick war Elfriede die Frau seines Lebens, die Frau, die er haben wollte - für immer! Da gab es für ihn gar kein Vertun! Und Elfriede lobte in den höchsten Tönen seine mannhaften Fähigkeiten und meinte, dass sie ihn mehr als alles andere auf der Welt brauchen würde. Sie wäre bereit, voll und ganz zu ihm zu stehen. Also musste auch er Farbe bekennen! Für Elfriede gab es keine Probleme. Als der "doofe Otto" am nächsten Tag bei ihr Einlass begehrte, war das Schloss bereits ausgewechselt und zwei Koffer mit seinen Sachen standen vor der Tür. Und als Otto nach dem Grund des jähen Rauswurfs fragte - berechtigterweise, sollte man meinen! -, stumpte Elfriede ihn mit dem Kommentar "Halt's Maul, du Idiot! " kurzerhand die Treppe runter. Fürwahr kein guter Abgang für Otto, nach all den gemeinsamen Jahren! Doch der "doofe Otto" fügte sich in sein Schicksal, denn er wusste nur zu gut aus leidvoller Erfahrung, dass Elfriede keinen Widerspruch duldete. Kurt hingegen war in einer sehr viel unangenehmeren Situation. Sylvia würde enttäuscht und verletzt sein; sie würde ihm eine gewaltige Szene machen. Wahrscheinlich würde sie ihn auch nicht so einfach freigeben. Wie sollte er ihr seinen plötzlichen Sinneswandel denn auch glaubhaft erklären?! Vielleicht würde sie sich sogar das Leben nehmen, und dann wäre er für immer mit dieser Schuld belastet. Ein schrecklicher Gedanke, fand Kurt. Und er redete sich am nächsten Tag feige heraus, als sie sich mit ihm treffen wollte, um die letzten Hochzeitsvorbereitungen mit ihm zu besprechen. Als er Sylvia am übernächsten Tag, also zwei Tage vor der Hochzeit traf, offenbarte er ihr ganz vorsichtig sein Ansinnen. Sie war fassungslos, heulte sich die Augen aus dem Kopf, und anschließend spielten sich beide stundenlang, wie bei einem Ballwechsel im Pingpongverfahren, die Schuldzuweisungen zu. Letztlich sah Sylvia dann ein, dass es keinen Sinn hatte, mit solch einem unzuverlässigen Typen, der sie kurz vor der Hochzeit so gewissenlos betrogen hatte, einen gemeinsamen Lebensweg zu planen. Und schweren Herzens stimmte sie der Trennung zu. Beide waren sich nun also darüber einig, dass sie nicht heiraten würden. Jetzt mussten sie dies nur noch Sylvias Vater sowie ihren Freunden und Verwandten beibringen. Sie riefen also erst mal reihum alle an, die zu dem Freudenfest eingeladen waren, um ihnen die traurige Mitteilung zu machen. Erst danach gingen sie zu Rudi, um auch ihn darüber in Kenntnis zu setzen, dass es mit der Hochzeit nichts werden würde. Doch beide hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht! - Rudi hörte sich das ganze Malheur erst einmal seelenruhig an; seine Gesichtsfarbe wechselte mal ins Blasse, mal ins Rote - so erschien es Kurt jedenfalls-, doch dann erfolgte die unerwartete Reaktion: "Was wollt ihr? - Ihr wollt nicht heiraten? - Ihr spinnt wohl! - Ich habe alle Verwandten und Freunde eingeladen, fast 100 Gäste; der Pfarrer und der Standesbeamte stehen bereit, und ihr habt es euch einfach mal so anders überlegt? - Nein, das dulde ich nicht! Diese Blamage könnt ihr mir nicht antun! Was denken denn die Leute von mir?! Ihr heiratet, das ist ein Befehl! ", donnerte er die beiden jungen Leute an. Kurt versuchte noch einzuwenden, dass er doch mindestens zwanzigtausend Mark sparen würde, wenn die Hochzeitsfeier nicht zustande käme, aber es nützte nichts. "Das interessiert mich nicht! ", schrie Rudi ihn an. "Und wenn mir die Schulden hinterher über den Kopf wachsen - ihr heiratet! " Er bekräftigte dies in handgreiflicher Form, indem er Sylvia eine schallende Ohrfeige verpasste und Kurt derartig in den Hintern trat, dass der zur Tür taumelte und gar nicht wusste, wie ihm geschah. "Raus mit euch - morgen ist Polterabend, basta! Und macht mir ja keine Schande! ", rief er ihnen drohend hinterher. Kurt wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Rudi sich so stur verhalten würde - zumal zwischen ihm und Sylvia ja eigentlich schon alles geregelt war. Und was würde Elfriede dazu sagen? Die hatte ihren "doofen Otto" schließlich seinetwegen rausgeschmissen. Er fand, dass das eine ganz und gar beschissene Situation war, in der er sich befand! Und nachdem er lange mit sich gerungen hatte, nahm er seinen ganzen Mut zusammen, ging noch einmal zu Rudi in die Gaststätte und flehte ihn an: "Rudi, tu mir das nicht an! Ich liebe deine Tochter nicht mehr, begreif das doch endlich! Sylvia und ich sind uns darüber doch schon einig geworden, dass wir nicht heiraten werden. Sei doch kein so'n Sturkopf! Ich will doch Beckers Elfriede heiraten! ", klang es kläglich aus ihm heraus. Rudi stutzte. "Was willst du? - Wen willst du heiraten? - Hast du etwa Beckers Elfriede gesagt? - Du willst dieses Flittchen heiraten? - Diese Nutte hab' ich doch auch schon auf dem Billardtisch gebumst; mit allen Kerlen in ihrer Kneipe hat die es schon getrieben. Und du willst sie gleich heiraten? - Bist du bescheuert? " Er schüttelte den Kopf und sagte nun fast etwas mitleidig: "Aber gut, wenn du dich partout unglücklich machen willst?! " Jetzt wurde Kurts Gesicht abwechselnd blass und rot; er konnte, er wollte es nicht glauben, was Rudi ihm da offenbarte. Einerseits schämte er sich, andererseits war er bitter enttäuscht. Ihm war zum Heulen zumute. "Frag' doch mal den Müller Schorsch und den Wingert Emil, die haben auch schon mit der geschlafen! ", setzte Rudi noch eins drauf und lachte ihn einfach aus. Kurt tat es in den Ohren weh; er war verzweifelt. Was sollte er bloß tun? Alle würden jetzt schadenfroh über ihn lachen und spöttisch mit den Fingern auf ihn zeigen! Rudi grinste ihn jetzt nur noch hämisch an. "Du bist doch wirklich ein armseliges Bürschchen! Aber ich mache dir einen Vorschlag, damit es für Sylvia und für mich nicht ganz so peinlich wird. Ihr heiratet übermorgen, wie es ursprünglich abgemacht war, und eine Woche später lasst ihr euch wieder scheiden. Das ist meine Bedingung! Denn mit solch einem Blödmann wie dir als Schwiegersohn will ich in Zukunft nichts mehr zu tun haben! " "Aber das ist doch nicht dein Ernst, Rudi! Warum sollen wir denn jetzt noch heiraten? Außerdem kostet das 'ne Menge Geld! " "Das ist mir scheißegal! Ich will mich bei meinen Leuten nicht blamieren! Du hast dir den Schlamassel eingebrockt, und jetzt sieh zu, wie du damit fertig wirst! " Kurt wurde langsam sauer. "Das ist Nötigung! - Ich gehe zur Polizei, das lasse ich mir nicht gefallen! ", blökte er Rudi nunmehr ungehalten an. "Du willst zur Polizei gehen? - Dass ich nicht lache! Das ist ja wohl das Letzte! Ich zeig' dir mal, was dir das einbringt! " Und aufgebracht schlägt er auf Kurt ein. Der ist zwar in Deckung gegangen, kann aber nicht alle Schläge abwehren. "Jaja, Rudi! Ist ja gut! - Ich heirate die Sylvia ja, und ich lass mich ja auch anschließend scheiden. Ganz wie du willst! Ich verspreche es dir! Aber bitte schlag' mich nicht mehr! ", jammerte er zum Gotterbarmen. Rudi gab ihm noch einen kräftigen Stups, sodass er in die Ecke flog, er stieß nur ein verächtliches "Arschloch! " aus. Und Kurt schlich mit einem blauen Auge und einer blutenden Nase davon. Er fühlte sich ganz fürchterlich, und insgeheim beschlich ihn der irrwitzige Gedanke, ob er sich nicht doch lieber wieder mit seiner moralisch gefestigten Sylvia versöhnen und zusammentun sollte. Wenn schon so viele Kerle mit der Beckers Elfriede etwas hatten, dann wollte er sie auf keinen Fall zur Frau haben. Jedenfalls das wusste er jetzt genau! Also ging er zu Sylvia und gestand ihr, dass er sie nun doch gerne heiraten würde, und dass er mit ihr bis an sein Lebensende zusammenbleibe wolle. Und er erklärte ihr seinen Ausrutscher damit, dass es ja nur die Panik gewesen wäre, wegen der Verantwortung, die mit der Heirat auf ihn zukommen würde. Aber das hätte er nun im Griff! Jedoch wollte sie nun nichts mehr von ihm wissen und sagte ihm klipp und klar, dass sie lieber alleine bleiben wolle, als mit einem Fremdgänger zusammenzuleben, auf den sie sich nicht hundertprozentig verlassen könne. Anscheinend war sie davon aber doch nicht so ganz überzeugt, außerdem musste sie ja zu ihrem Vater halten. Und so vereinbarten sie, das zu tun, was er verlangt hatte. Flugs riefen sie also die Freunde und Verwandten wieder an und teilten ihnen mit, dass die Hochzeit nun doch zu dem vereinbarten Termin stattfinden würde. "Und kommt bitte schon morgen zum Polterabend, damit es auch wirklich ein schönes Fest wird! ", sagten sie allen. Die angereisten Verwandten - die meisten hatten sich in den Fremdenzimmern in der Gaststätte "Zum dicken Bären" einquartiert - kamen dann schon reichlich alkoholisiert in Rudis Lokal. Er hatte die Gaststube festlich geschmückt; in großen Lettern stand über der Tür: "Dem glücklichen Brautpaar alles Gute! " Er mimte den glücklichen Brautvater und auch Sylvia und Kurt ließen sich nichts anmerken, saßen festlich gekleidet vor dem Tresen und empfingen die Gäste. Sie machten gute Miene zum bösen Spiel und forderten dies auch von ihren Freunden, die von ihrem arg strapazierten Verhältnis wussten. Also ermunterten sich alle gegenseitig und warfen tapfer Tassen und Teller, damit dem Brautpaar nur das Beste und viel Glück auf ihrem gemeinsamen Lebensweg zuteil werden sollte. Sie gratulierten mit scheinheiligen Gesichtern und dachten sich ihren Teil. Auch Beckers Elfriede schloss sich den Glückwünschen an und bestätigte Sylvia mit falschem Getue, dass sie eine schöne Braut sei, und dass sie mit Kurt eine gute Wahl getroffen hätte. Sylvia hätte ihr am liebsten den Hals umgedreht. Es war fürwahr eine makabre Gesellschaft und ein fatale Situation! Aber Rudi tat so, als wäre alles in bester Ordnung, und so fanden sich auch Kurt und Sylvia mit den Gegebenheiten ab. Am nächsten Morgen erfolgte dann der Gang zum Standesamt. Rudi, die beiden Trauzeuginnen - eine davon Beckers Elfriede! - sowie das Brautpaar fuhren gemeinsam zum Rathaus. Da saßen sie nun vereint vor dem Standesbeamten, der ja nicht ahnen konnte, welches Drama sich in den Köpfen der Brautleute und der Trauzeugen abspielte: ein Brautpaar, das gar nicht heiraten wollte; ein Brautvater, der die Hochzeit auf Teufel komm raus durchgesetzt hatte; eine Trauzeugin, die den Bräutigam eigentlich für sich haben wollte! "Wollt ihr euch immer treu sein und in jeder schwierigen Lage zusammenhalten, bis dass der Tod euch scheidet? ", fragte der Standesbeamte mit salbungsvoller Stimme. Am liebsten hätte Kurt ein klares "Nein! " gesagt - es lag ihm schon auf der Zunge. Doch Rudi ballte die Fäuste und schickte ihm einen drohenden Blick zu. Daraufhin stammelte er: "Ja, Ja, Ja! " Sylvia konnte diese dreifache Zustimmung gar nicht fassen. Sollte das etwa ein nachdrücklicher Liebesbeweis sein? Auch sie ließ deutlich ihr "Ja! " hören, mit der vagen Hoffnung, dass sich ja vielleicht doch noch alles zum Guten wenden würde. "Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau! ", tönte der Standesbeamte, und nachdem sie sich gegenseitig die Ringe angesteckt und sich geküsst hatten, beglückwünschte der Beamte sie, und damit war der amtliche Teil der Hochzeit beendet. Eine ergreifende Szene mit einem faden Beigeschmack war das für alle Beteiligten. Kurt umarmte die vor Rührung weinende Sylvia, dabei schaute er über deren Rücken direkt in das fordernde Gesicht von Beckers Elfriede. Auch Rudi nahm seine Tochter in die Arme, und selbst Beckers Elfriede kam nicht umhin, ihrer Rivalin alles Gute und viel Glück zu wünschen, obwohl sie ihr im Grunde den "großen Abflug" wünschte, um Kurt an sich binden zu können. Vor dem Standesamt standen alle Freunde und Verwandten, und alle gratulierten dem nur scheinbar glücklichen Paar mit gemischten Gefühlen. Mittlerweile wussten nämlich alle, dass die Frischvermählten schon in der nächsten Woche die Scheidung einreichen würden. Aber Kurt war plötzlich von dem feierlichen und gefühlsduseligen Zeremoniell derartig eingenommen, dass ihn nun echte Gewissensbisse quälten. Und als er in die ebenfalls wässrigen Augen von Rudi blickte, der geflissentlich an ihm vorbeischaute, nahm er allen Mut zusammen und schlich zu seinem Schwiegervater, um ihn ergebenst zu fragen, ob er sich denn nicht doch mit der ohnehin schon vollzogenen Heirat einverstanden erklären könne, sodass diese nun wahrhaftig und für alle Zeit Gültigkeit haben würde. Er versicherte ihm ehrenwörtlich und treuherzig, dass so etwas wie mit Beckers Elfriede nie wieder vorkommen würde, und dass er Sylvia doch in großer Liebe verbunden sei und für sie sorgen wolle in guten und in schlechten Zeiten! Rudi, eigentlich knallhart in seinen Entscheidungen, standen nun wirklich die Tränen in den Augen - es ging schließlich um das Glück seiner einzigen Tochter! Also gab er Kurt diese eine, diese letzte Chance. Daraufhin fiel Kurt zum Erstaunen aller Gäste seinem Schwiegervater überglücklich um den Hals und dankte ihm überschwänglich für den familiären Segen. Die Hochzeitsgesellschaft verstand jetzt überhaupt nichts mehr! Kurt hatte nun wieder zu seiner Mannhaftigkeit zurückgefunden, räusperte sich und verkündete den verdutzten Gästen, dass er und Sylvia nun doch ein richtiges Ehepaar wären, nachdem Rudi nachträglich sein Einverständnis für ihre gemeinsame Lebensplanung gegeben hätte. Demzufolge wäre erst jetzt die Trauung perfekt und tatsächlich vollzogen. Auch Sylvia war erleichtert und froh, und beide umarmten sich zur Freude der Hochzeitsgäste, die nun ihrerseits ganz ehrlich ihre Glückwünsche anbringen konnten, weil Kurt und Sylvia nun ja doch noch zueinander gefunden hatten. Jetzt wurde in Rudis Kneipe ein Fass aufgemacht; eine Drei-Mann-Band mit dem seltsamen Namen "die Looser" spielte auf, und niemand fragte sich mehr, ob das nun alles echt war, oder nur vorgegaukelt, was nun erfolgte. Es wurde vom Feinsten gegessen und getrunken, und immer wieder ertönten die Hochrufe auf das glückselig strahlende Brautpaar. Es war fürwahr eine großartige Hochzeitsfeier, und auch Beckers Elfriede ließ sich ihren Groll nicht anmerken und feierte fröhlich mit. Sogar der "doofe Otto" gesellte sich zu ihnen und wurde von allen freundlich begrüßt. Nur Beckers Elfriede schaute etwas verlegen aus der Wäsche, als er sich neben sie setzte. Dann stand Rudi leicht schwankend auf und klopfte an sein Glas, um eine Ansprache zu halten. Die Gäste lauschten seinen mehr oder minder gelallten Worten mehr oder weniger aufmerksam, da auch sie schon reichlich angetrunken waren. Er hob sein Glas für ein Prosit auf das Brautpaar. Und nachdem alle auf die Frischvermählten angestoßen hatten, sprudelte es nur so aus ihm heraus: "Lieber Kurt, liebe Sylvia! - Hick! Ich bin ja so glücklich, dass es jetzt doch noch mit euch geklappt hat, und ich wünsche euch alles erdenkliche Gute - rülps! Ich hoffe, dass ihr euch wieder so liebt wie früher, und damit ihr einen guten Ehestart habt, bekommt ihr von mir - hick! - 50.000 Mark als Hochzeitsgeschenk. Damit könnt ihr eine Eigentumswohnung anbezahlen! " Ein anerkennendes Raunen ging durch den Raum; Kurt und Sylvia umarmten sich, als hätte es niemals einen Beziehungsstreit zwischen ihnen gegeben. "Und Kurt hat mir sein Ehrenwort gegeben, dass er künftig die Finger von Elfriede lässt - rülps! " Das hatte er eigentlich gar nicht sagen wollen, das rutscht ihm etwas unkontrolliert raus. Aber die daraufhin folgende Wirkung war geradezu ungeheuerlich. Denn das war offensichtlich zu viel für Beckers Elfriede. "Wer soll von wem die Finger lassen, du geiler Bock?! ", brüllte sie Rudi an und schüttete ihm ein gerade frisch gezapftes Glas Bier ins Gesicht. "Kurt liebt mich, und daran kannst du gar nichts ändern! Auch wenn du hier eine Scheinhochzeit inszeniert hast, du Blödmann! - Frag doch den Kurt, wen er wirklich liebt! " Doch Kurt konnte mit dieser Frage, im Moment zumindest, nicht konfrontiert werden, der hatte sich bitzschnell auf die Toilette verdrückt, als Elfriede mit ihrer Beschimpfung begonnen hatte. Rudi stand wie ein begossener Pudel da; er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und versuchte, mit dem Zipfel der Tischdecke das Bier von seinem feinen Anzug zu wischen. "Du warst doch der Geilste von allen, und jetzt spielst du dich hier als Moralapostel auf, du Drecksack! ", geiferte die aufgebrachte Elfriede wie von Sinnen. Sie rannte zu ihm, packte ihn an der Krawatte, schüttelte ihn und schlug ihm mit ihrer Faust mitten ins Gesicht, so dass er zu Boden fiel - wie bei einem klassischen K. o.-Schlag! Seine Nase blutete, und jetzt fing er doch tatsächlich zu flennen an. Dieser große, immer so stark auftretende Mann, der alle durch seine beherrschende Art terrorisiert hatte, flehte Elfriede an: "Aua! Das tut doch weh! - Schlag mich bitte nicht! " Doch sie schlug wie eine Furie auf ihn ein, und jedes Mal, wenn er sich aus seiner misslichen Lage erheben wollte, bekam er erneut einen Tritt, sodass er wieder in sich zusammenfiel. Einige beherzte Gäste, die ihm helfen wollten, wurden ebenfalls mit Ohrfeigen und Tritten seitens der wütenden Elfriede traktiert. Ein paar Gäste flüchteten sogar zum Ausgang, weil sie Angst vor Elfriedes Tobsuchtsanfall hatten; andere riefen aus: "Mein Gott! - Was für eine Schande! " Rudi jammerte nur noch leise vor sich hin. Sicher bedauerte er jetzt zutiefst, dass er diese Hochzeit auf Teufel komm raus erzwungen hatte. Die Feier kostete nicht nur viel Geld; er musste es sich nun ja auch noch gefallen lassen, dass seine Gäste ihn auslachten und dass er zum Gespött der Leute wurde. Auch die Musiker hatten aufgehört zu spielen und grinsten über die tollwütige Frau, die den Brautvater verhaute. Der lag am Boden, hielt sich ein Taschentuch vor die blutende Nase und flehte und wimmerte Elfriede an: "Von mir aus kannst du den Kurt ja haben, aber bitte schlag' mich nicht mehr! " Doch Elfriede machte vor keinem Halt, der in ihre Nähe kam. Und als sich jetzt auch noch der "doofe Otto" einmischte, ging sie auf ihn los und gab ihm links und rechts klatschende Ohrfeigen, sodass der "doofe Otto" ebenfalls zu heulen und zu jammern anfing. Dann schnappte Elfriede sich den Kurt, der von der Toilette kam und von alledem nichts mitbekommen hatte, und zerrte ihn hinter sich her aus dem Lokal. "Bleib' bei mir! Bitte, geh' nicht mit ihr! ", rief Sylvia ihm noch flehentlich hinterher. Doch Kurt war viel zu betrunken; er konnte - oder wollte - sich dem Klammergriff der resoluten Elfriede nicht entziehen, und apathisch folgte er der entfesselten und entschlossenen Frau. Ob sie erst noch gemeinsam in der Gaststube "Zum dicken Bären" über die Folgen dieser Entführung gesprochen haben, oder ob sie gleich miteinander auf den Billardtisch oder ins Bett gegangen sind ... - das weiß bis heute niemand. Auf jeden Fall hat Kurt schon bald danach bei einem Rechtsanwalt die Scheidung eingereicht. Hinter ihm stand, mit bösem, drohendem Blick und mit geballten Fäusten Elfriede. In ihrer Handtasche befanden sich bereits die Formulare für das Aufgebot für die Heirat mit Kurt! |
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