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Horst Gauss | |
| Kuriositäten rund um den Boxring - Der wilde Klaus und Frau Bürgermeisterin
Es war ein wunderschöner Sonntag morgen im Sommer des Jahres 1970, die Sonne schien, die Vögel zwitscherten und alle Menschen hatten gute Laune. Der CSC boxte anlässlich der „Kerb“ in einem Dorf in der Nähe von Miltenberg gegen den TV Aschaffenburg. Die Dorfbewohner hatten an diesem Morgen die Qual der Wahl. Sollten sie, wie gewohnt zum Gottesdienst pilgern oder sollten sie ausnahmsweise mal die Kirche lassen und ins Bierzelt zu den Boxern gehen? Beide Veranstaltungen begannen um 10.00 Uhr! Nun, es wurde redlich geteilt. Herr Pfarrer kam nicht zu kurz, die Kirche war gut gefüllt, genauso wie das Bierzelt auf dem Schützenplatz. Viele Leute waren natürlich aus Neugier gekommen, war es doch das erste Mal, dass in ihrer Gemeinde eine Boxveranstaltung stattfand. Auch Frau Bürgermeisterin hatte die Qual der Wahl. Da sie sehr sportfreudig war, zog sie diesmal den Besuch bei den Boxern der Kirche vor. 10.00 Uhr läuteten die Kirchenglocken um die frommen Schäflein zur Kirche zu locken und pünktlich 10.00 Uhr ertönte der erste Gong im Bierzelt. 500 erwartungsfrohe Dorfbewohner sahen zu Beginn der Veranstaltung Frau Bürgermeisterin in den Ring klettern um die beiden Mannschaften mit einigen herzlichen Worten freudig zu begrüßen. Frau Bürgermeisterin war zwar nicht mehr die Jüngste, doch in ihrem blütenweiße Kleid und mit ihren langen blonden Haaren war sie schon eine imposante Erscheinung. Ihre Ansprache war voll des Lobes für die ihr noch unbekannte Sportart, in der Disziplin, Fairness und Freundschaft so große und beeindruckende Werte seien. Donnernder Applaus der Zuschauer begleitete sie aus dem Ring. Ihr wurde just in jenem Moment bewusst, dass sie an diesem Morgen wohl die richtige Entscheidung getroffen hatte, den Boxern der Vorzug vor dem Kirchenbesuch zu geben. Schließlich konnte sie sich vor einem größeren Publikum präsentieren und außerdem waren bald die Bürgermeisterwahlen, da war so ein kleiner publikumswirksamer Abstecher in eine ihr fremde Welt nicht verkehrt.
Herr Pfarrer würde ihr sicherlich einmal verzeihen.
Hätte sie geahnt, was auf sie zukommen würde, dass sie nur wenige Minute später klatschnass, von oben bis unten besudelt unter dem Gelächter der johlenden Menge ihre Heimweg antreten würde, fürwahr sie hätte hundertprozentig den Kirchgang gewählt.
Doch zunächst war Frau Bürgermeisterin „voll im Glück!“
Nach ihrer geglückten Ansprache durfte sie direkt vorn am Delegiertentisch, neben dem ihr bekannten Ringsprecher Platz nehmen. Sie sollte ja diese ihr fremde Sportart einmal so richtig ganz aus der Nähe kennen lernen und dabei waren ihr alle behilflich. 7 bunte und spannende Kämpfe wurden vorweg ausgetragen. Frau Bürgermeisterin war beeindruckt. Dann wurde der Hauptkampf angekündigt. Spannung lag in der Luft. Klaus Möllinger, der Mittelgewichtler vom CSC sollte gegen den Aschaffenburger Klaus Scheuermann, seines Zeichens amtierender Hessenmeister boxen. Fürwahr, eine Knallpaarung!
Und es sollte auch richtig knallen an diesem schönen Sonntagmorgen! Beide Boxer hatten sich früher schon zweimal gegenüber gestanden und zweimal hatte Klaus Möllinger knapp verloren. Seiner Meinung nach jedes Mal zu Unrecht. Heute nun wollte er den Spieß umdrehen.
Ein Genickschlag verursachte das Chaos
Klaus Möllinger, privat ein ganz lieber Junge, der noch heute schmunzelt, wenn man ihn an diese kleine Episode erinnert, war seinerzeit im Ring beileibe nicht der liebe Junge von nebenan, sondern eher ein gefürchtetes Rauhbein. Wo er auch boxte, überall war er schon nach wenigen Minuten der Buhmann, wenn er in den Ring kletterte, weil er gar so grimmig und verbissen drein schaute als Zuschauer ihn auspfiffen, stampfte er auf den Ringboden und drohte mit erhobener Faust denn Zuschauern an den Biertischen. „Kommt doch hoch, wenn ihr was von mir wollt ich zeig Euch schon wo`s lang geht!“ so nuschelte Möllinger vor sich hin, den roten Kautschuck – Mundschutz im Munde hin und her schiebend. Frau Bürgermeisterin fühlte sich zwar nicht direkt angesprochen, doch war sie schon ein wenig brüskiert, baute sich doch dieser Flegel da oben im Ring direkt vor ihr auf und drohte den hinter ihr sitzenden Zuschauern über ihren Kopf hinweg. Was würde wohl Herr Pfarrer von ihr denken, wenn er sie, die oberste Vertreterin der Gemeinde bei diesem Spektakel sehen würde? Doch das war nur die Ouvertüre! Oben im Ring ging es munter weiter. Möllinger schlug plötzlich, sicherlich aus Versehen (oder auch nicht!?) mit einem linken Körperhaken viel zu tief unter die markante Gütellinie. Scheuermann fing fürchterlich an zu schreien, so als wollte man ihn einer mittelalterlichen Folter unterziehen. Er hielt seine linke Hand schützend vor die berühmte Stelle und lief mit schmerzverzerrtem Gesicht durch den Ring. Frau Bürgermeisterin wusste nicht, wie sie sich in diesem Moment verhalten sollte. Am liebsten wäre sie aufgestanden um diesen Ort der komischen Begegnungen zu verlassen. Aber sie blieb sitzen, wollte sozusagen „Stehvermögen“ zeigen, schließlich war sie ja das Oberhaupt der Gemeinde.
Die Vorspeise war ein appetitvoll servierter Mundschutz
So blieb sie einfach sitzen. Neben ihr, der Ringsprecher, ein Choleriker – das konnte sie nicht wissen – war jetzt voll in seinem Element. Er rief laut durchs Mikrophon, dass es eine Unverschämtheit sei, was der Klaus Möllinger da oben täte und dass dieser Flegel disqualifiziert werden solle. Frau Bürgermeisterin verstand überhaupt nichts mehr. Warum diese Aufregung und warum hielt sich der eine Boxer immer die linke Hand an die berühmte Stelle und jaulte wie ein geprügelter Hund? Warum kam jetzt nur der eine Boxer, nämlich Möllinger, zum Ringsprecher, lehnte sich über das oberste Ringseil und erhob die rechte Faust zu einer drohenden Gebärde?
Der Ringsprecher sah sich bedroht und rief laut durchs Mikrophon „Schweinerei, das las ich mir nicht gefallen, raus mit dem Typ!“ Wie sollte sie das nun wieder verstehen? Wer sollte raus aus dem Ring und wohin gehen? Doch Frau Bürgermeisterin kam gar nicht dazu nachzudenken, denn da schoss der wutentbrannte Klaus Möllinger erneut durch den Ring, wiederum direkt auf den ihn beschimpfenden Ringsprecher zu, bedrohte und beschimpfte ihn und spuckte seinen blutigen Mundschutz aus Versehen auf den Delegiertisch, direkt vor die Nase von Frau Bürgermeisterin. Diese wußte überhaupt nicht, was das für ein Teil war, das man ihr da servierte, außerdem bekam sie auch noch einige Blutspritzer ab. Doch das sollte erst die Vorspeise sein.
Das Menue war unübertrefflich
Das Menue folgte postwendend. Der cholerische Ringsprecher verkündete nach Absprache mit dem Kampfgericht das niederschmetternde Disqualifikationsurteil für Klaus Möllinger, der damit überhaupt nicht einverstanden war und nun wütend schnaubend und stampfend durch den Ring lief. Er wollte den Ring auch nicht verlassen, weil er sich ungerecht behandelt fühlte und Klaus Scheuermann hatte noch immer die linke Hand an der berühmten Stelle. Das Publikum sah sich um den spannenden Kampf betrogen und schwenkte nun auf Möllingers Seite um. Der lief jetzt wie ein Gladiator durch den Ring und ließ sich feiern. Stürmischer Applaus begleitete ihn, als er die Ringtreppe hinunterstieg. Das Drama schien „Gott sei Dank“ beendet. Doch der cholerische Ringsprecher war mit diesem Abgang nicht zufrieden und musste unbedingt noch ein paar entschuldigende Worte ans Publikum los werden, dabei natürlich die Unsportlichkeit des Klaus Möllinger noch einmal richtig betonend. Da wurde es dem guten Klaus Möllinger zu bunt. Schließlich war er sich keiner Schuld bewusst. Der Klaus Schermann war doch derjenige gewesen, der ihm zuerst ins Genick geschlagen hatte und das konnte und wollte sich der gute Klaus nicht gefallen lassen.
Es war ein ergreifendes, peinliches Bild. Wie begossene Pudel, im wahrsten Sinne des Wortes, standen die Delegierten herum, durchnässt vom „edle Nass“ der Ringhelden. Doch am schlimmsten hatte es Frau Bürgermeisterin erwischt, die wie gesagt, ihre Kopf nicht mehr beiseite hatte ziehen können und den größten Teil der „widerlichen Brühe“ abbekommen hatte. Ihre Frisur war total demoliert. Blut, Wasser und Spucke rannen an ihrem blütenweißen Kleid herab und ihre dem Alter entsprechenden nicht gerade berauschenden Konturen wurden für alle sichtbar. Sie konnte einem schon leid tun, die arme Frau Bürgermeisterin. Sie sah aus wie eine „gewaschene Maus“, die nun nicht mehr wußte, wie sie sich verhalten sollte. Die Zuschauer hinter ihr brüllten und lachten und riefen auch noch „Zugabe“. Wie sollte sie das auch verstehen! Schadenfreude, Ratlosigkeit und Wut machten sich breit.
„Ich möchte mich entschuldigen!“ so rief Klaus Möllinger durchs Zelt. Doch was bedeutete da schon diese lapidare Entschuldigung bei der Schwere der voran gegangenen Tat.
Den Klaus, der durch sein unbedachtes Verhalten einen schlimmen, nicht wieder gut zu machenden, unmöglichen Tatbestand geschaffen hatte, der einfach nicht zu entschuldigen war. So jedenfalls die Meinung der Betroffenen, die sich in einem desolaten Zustand befanden.
Doch nicht nur die Boxveranstaltung war zu Ende, auch Hochwürden hatte seine Schäflein auf dem Heimweg geschickt. Während die Kirchenglocken nach Beendigung der Morgenandacht die erbauten, mit neuen Kräften für die kommende Arbeitswoche voll getankten Kirchgänger nach Hause begleiteten, verließen auch die Besucher der Boxveranstaltung das Bierzelt, sicherlich voll getankt mit neuen unvergesslichen Eindrücken. Als Frau Bürgermeisterin in ihrem jämmerlichen Zustand aus dem Zelt schlich, in Gedanken noch bei der missratenen Boxveranstaltung, kamen ihr die geläuterten Kirchgänger entgegen.
Merkwürdig sah sie schon aus, die liebe Frau Bürgermeisterin und so mancher Kirchgänger wird sich wohl so seine Gedanken gemacht haben, was wohl mit der guten Frau passiert sein könnte. Sicherlich dachte auch Frau Bürgermeisterin darüber nach, ob es für sie an diesem Morgen nicht wohl doch besser gewesen wäre, wenn sie den Gottesdienst anstatt der Boxveranstaltung besucht hätte. |
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