Horst Gauss

Hasenboxen in Auerbach - unglaublich, aber wahr !



Was wäre der Boxsport ohne die vielen lustigen Anekdoten, die sich um die Ringhelden ranken. Auch die folgende Story, die sich vor noch nicht all zu langer Zeit zutrug, zählte zu jenen Storys, die bereits heute immer wieder bei Stammtisch-Gesprächen ausgekramt werden. Der Hessische Amateur-Boxverband möge im nachhinein den einen oder anderen Verstoß verzeihen. Verjährung gibt es sicherlich auch bei den Boxern.

Der Begriff Hasenboxen stammt vom unvergessenen ungarischen Trainer Sandor Czötönyi, der jahrelang die CSC-Staffel mit seinen ungarischen Perlen verstärkte, schon zu einer Zeit, da noch niemand an eine Öffnung gen Westen dachte.

Schaute man sich zusammen mit Sandor einen Boxkampf an, so kam spätestens nach einer Minute der ersten Runde sein fachmännischer Kommentar: „Gutes Boxer, Großes Klasse, gaaanz prima“! oder aber: „Sind doch Hasenboxer“! oder „Hasenkampf“. Damit waren dann die Boxer gemeint, die durch ihr Auftreten stets ein gelangweiltes Gähnen bei den Zuschauern hervor riefen. Eigentlich gab es für Sandor nur diese beiden Klassifizierungen.

Hätte er am .. .. .., einem heißen August-Samstag in Auerbach an der Bergstraße das dortige Sparringsboxturnier besucht, ihm wäre sicherlich zunächst die Spucke weg geblieben, dann hätte er sich vor Lachen gekugelt und mit Garantie noch eine dritte Klassifizierung kreiert, nämlich die der „Super-Hasenboxer“, denn Langeweile kommt bei der letzten Kategorie nicht auf. Ab und zu kommt es schon einmal vor, dass auch bei Sparringsbox-Turnieren einige „faule Eier“ dabei sind. So genau weiß man das ja vorher nie. Dass aber gleich vier „total unfertige Boxer“ in einer Gruppe zusammen kamen, das war reiner Zufall und vielleicht wurde es deswegen so lustig.

Vier Jungs standen also in der Schwergewichtsgruppe bei diesem Turnier zum Kampf bereit. Jeder sollte gegen jeden boxen, jeweils eine Runde a` 3 Minuten mit dicken 14-Unzen-Handschuhen. Der erste Kandidat war Roland vom CSC Frankfurt, auch „der Rote Roland“ genannt, ob seiner roten Haare, nicht wegen seiner Gesinnung. Roland hatte noch nie geboxt beim CSC, aber ab und zu mal am Sandsack trainiert. Er war eigentlich als Zuschauer mitgefahren, doch während der Fahrt von Frankfurt nach Auerbach wurde im Bus gescherzt und gewettet und so fand sich Roland plötzlich im Boxring wieder. Der zweite im Bund war Wittig vom BC Kostheim, den seine Kameraden „Hupfi“ riefen. Hupfi wahrscheinlich deswegen, weil er bei jedem Schlag wie ein hüpfendes Kängeruh abhob, weil sich später beim Boxen herausstellen sollte. Der dritte war ein Sportkamerad mit dem merkwürdigen Namen Bitchimatz von Kickers Offenbach, der eher einem Hosenmatz als einem Boxer ähnelte. Das Quartet vervollständigte ein Sportkamerad namens Butzbach von ..., der mit dem ehemaligen Boxer Georg Butzbach nur den Namen gemeinsam hatte, ansonsten aber eher wie einer aussah, den man lieber nicht mit den Fäusten treffen sollte. Den ersten Kampf bestritten Roland und Hupfi. War es bis zu diesem Zeitpunkt in der Halle ruhig und langweilig gewesen, so kam nun Stimmung auf. Denn was die beiden da oben im Ring boten, war „Übelste Gosse“. Der Rote Roland schlug um sich, als ginge es um sein Leben. Rundschläge, Schwinger, Hammerschläge, kurzum das gesamte „ABC“ verbotener Schläge prasselten auf den armen Hupfi nieder, der nun seinem Namen alle Ehre machte und mit „Hüpfern der dritten Art“ das Weite suchte, anstatt in Deckung zu verharren. Der Ringrichter traute seinen Augen nicht „Was war das denn, wer konnte nur diese Burschen auf die Menschheit los gelassen haben“? Ein vorwurfsvoller Blick in die CSC-Ecke, wo der Trainer verschämt wegschaute. Gott sei Dank, waren die drei Minuten schneller vorbei, als man dachte. Das Urteil des Ringrichters, wenn er nun mal eines abgeben musste, trotz der Unfertigkeit der beiden Jungs: „Unentschieden“! Die Zuschauer waren begeistert. Im nächsten Kampf kam dann Bitchimatz aus Offenbach gegen Butzbach aus ... . Was nun da oben im Ring abging, schlug dem Fass den Boden aus. Bitchimatz und Butzbach hüpften umeinander herum, berührten sich in drei Minuten dreimal. Zweimal hatte Butzbach eine linke Gerade angedeutet, einmal Bitchimatz. Wenn schon ein Sieger sein musste, so wurde Butzbach unter dem Gejohle und Gelächter der Zuschauer zum Sieger erklärt.

Ein kleiner Junge meinte zu seinem Vater: „Du, Papa, ich glaube, das kann ich auch“! Nach diesem tollen Fight brach der Kämpfer Butzbach das Turnier ab, weil ihm der Boxsport zu hart war. Er trat also nicht mehr zu seinem nächsten Kampf gegen den Roten Roland an. Der kam somit kampflos zu zwei Punkten und jubelte bereits bei seinen Kameraden. Sollte er wirklich Turniersieger werden? Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkam ihn. Immerhin hatte er jetzt 3:1 Punkte und zwar Tabellenführer in der „Super-Hasen-Vierergruppe“. Im nächsten Kampf musste dann Hupfi gegen Bitchimatz boxen. Wiederum sahen die Zuschauer Hasenboxen in Vollendung. „Tu du mir nichts, dann tu ich die auch nichts“! Das war die klare Zielvorstellung der beiden Jungs. Als Bitchimatz aus Versehen mit einer leichten Rechten den armen Hupfi traf, ging dieser doch tatsächlich zu Boden und schaute verschämt in seine Ecke, ob er weiter boxen musste. Er musste nicht. Bitchimatz wurde vom kopfschüttelnden Ringrichter zum Sieger erklärt und riss jubelnd die Arme hoch. Immerhin hatte er jetzt 2:2 Punkte. Sein letzter Kampf gegen den Roten Roland musste die Entscheidung bringen. Wer nun siegte, war Gruppenerster. Bekam also eine Urkunde. Welch seltsame Glücksgefühle mussten die Jungs überkommen. Noch vor einer Woche wagten sie in ihren kühnsten Träumen nicht an einen Boxkampf zu denken und jetzt standen sie kurz vor ihrem großen Ziel, nämlich Gewinner eines Boxturniers zu werden.

Plötzlicher Jubel in der Kostheimer Ecke ließ aufhorchen. Dort wurde gerade bekannt gegeben, dass Hupfi kampflos zu zwei Punkten gekommen war, weil der Kämpfer Butzbach ja schon nach Hause gefahren war. Hoffnung auf den 2. Platz in der Gruppe kam auf. Doch nun kam der Kampf der Kämpfe. Der Rote Roland vom CSC gegen Bitchimatz aus Offenbach. Der Rote Roland ging aufs Ganze. Kopfstöße, Rund- und Hammerschläge, Schwinger und Knie-Checks, ja sogar einen Low-Kick baute Roland in sein Programm ein. Der arme Bitchimatz wusste nicht, wie ihm geschah. Er fing an zu weinen und schlug wie ein zorniges Kind, dem man in den Allerwertesten gestochen hatte, um sich. Die Zuschauer kringelten sich vor Lachen und kamen voll auf ihre Kosten. Der Ringrichter schaute sich das komische Treiben im Ring genau eine Minute an, dann brüllte er wutentbrannt: „Raus, Raus, Raus, lasst euch hier nicht mehr sehen, lernt erst einmal boxen! Das ist ja eine Frechheit“! Beide Boxer und auch beide Trainer bekamen ihr Fett ab. Das war ja wirklich eine Zumutung. Doch damit nicht genug, es musste ja ein Urteil gefällt werden, einer musste gewinnen.

Ein Urteil, bei dieser unmöglichen Leistung?

Ja, es gab ein Urteil!

Beide Boxer wurden wegen Unfähigkeit disqualifiziert, erhielten also keine Punkte für diesen Kampf. Doch damit nicht genug – es musste auch noch ein Gruppensieger ermittelt werden.

Nicht zu fassen, aber wahr. Jubel in der Frankfurter Ecke. Der Rote Roland wurde mit 3:1 Punkten glücklicher Gruppensieger. Er hatte immerhin ein Unentschieden, einen kampflosen Sieg und eine Disqualifikation vollbracht. Mit Tränen in den Augen nahm Roland die Urkunde in Empfang. Ein Traum war für ihn in Erfüllung gegangen, wenn auch auf eine seltsame Art und Weise.

Etwas positives hatte dieses Super-Hasenboxen aber doch bewirkt. Roland boxte zwar nie wieder im Ring, ist aber seit dieser Zeit ein fleißiger Hobby-Boxer beim CSC