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Horst Gauss | |
| Von einem der auszog, das Boxen zu lernen. „Ich will den Tschiskajeno boxen!“
Was wäre der Boxsport ohne die vielen Anekdoten, die sich um die Ringhelden ranken. Da passieren schon die seltsamsten Dinge, an die man sich noch heute erinnert. Auch beim CSC gibt es Storys, die man sich immer wieder am Stammtisch erzählt und die in der Erinnerung fortleben. Es war im Jahr 1967, als ein junger Mann namens Reiner X die CSC-Sportschule in der Martin-May-Strasse betragt um den Boxsport zu erlernen. Reiner war in Sachsenhausen kein Unbekannter. Er war als Aufschneider und Möchtegern-Schläger bekannt und so erzählte er nun munter drauf los, wen er schon in Sachsenhausen verprügelt hatte. Die Trainer Horst Gauß und Olaf Rausch konnten schon nicht mehr hin hören, während die Boxer, die natürlich das Training unterbrochen hatten, riesengroße Ohren bekamen bei so vielen Vorschußlorbeeren, die sich Reiner selbst ausstellte. Für Rainer war klar, dass er ein ganz Großer des Boxsports werden würde, er musste nur noch ein paar Tricks lernen und gerade deshalb war er hierher zum CSC gekommen. Dabei sah dieser Reiner eigentlich gar nicht wie ein kommender Boxstar aus, er erinnerte eher an einen, der gerade von der Kirmes weggeholt worden war. Er trug Cowboy-Stiefel und Lederhosen, hatte eine schwarze Lederjacke mit viel silbernem Klimbim an, die seinen dicken Bauch verdeckte, goldene Ringe an beiden Händen. Das lange schwarze Haar mit viel Pomade versehen, hing bis zu den Schultern herab. Ja, er glich einem Schiffschaukelbremser. Horst Gauß, immer für einen Spaß zu haben, wollte natürlich diesen unangenehmen Gesellen schnell los werden und erklärte ihm so spaßhalber, dass jeder Neue, der zum CSC käme, erst gegen den Tschiskajeno boxen müsse, einen furcht erregenden glatzköpfigen Zweimeter-Mann, der über der Sportschule wohne bzw. hauste und der jeden platt mache. Andächtig lauschte Reiner diesen Worten und just in diesem Moment polterte es über der Sportschule und Gauß meinte, dass dieser der Tschiskajeno sei. Reiner, sichtlich mit dem Hirn eines Spatzen ausgestattet, schien Gauß zu glauben. Jedenfalls verließ er schnell die Sportschule und meinte, dass er bald wieder käme. Er konnte ja nicht ahnen, dass das Gepolter über der Sportschule vom Schreinermeister Hasenpflug her rührte, der dort seine Arbeiten verrichtete. Boxer und Trainer kugelten sich vor Lachen nach Reiners Abgang. Konnte jemand so blöd sein diese Tschiskajeno-Story zu glauben oder wollte Reiner sie nur bluffen? Die Wochen vergingen. Längst hatte man beim CSC diese kleine Episode vergessen, als eines Tages die Tür aufging und Reiner X in die Sportschule stürzte: „Heute will ich den Tschiskajeno herausfordern!“ Gauß und Rausch schauten sich verdutzt an, wussten zunächst gar nicht, wer und was gemeint war. Bis es den beiden dämmerte, war es schon zu spät. Reiner X war die Treppen hinauf zur Schreinerei geeilt, riss die Tür auf und brüllte: „Wo ist der Tschiskajeno?“ Doch er fand nur ein verdutztes kleines Schreinerlein vor, das überhaupt nichts verstand und Reiner fragte, ob er noch alle Tassen im Schrank habe. Gauß war schnell hinterher geeilt und entschuldigte sich bei Schreinermeister Hasenpflug, schnappte Reiner X und erklärte ihm, dass der Tschiskajeno letzte Woche ausgezogen sei. Jetzt im sicheren Gefühl, dass ihm nichts passieren konnte, drehte Reiner vollends durch. „Ich will den Tschiskajeno boxen, wo ist der Feigling, ich schlag ihn tot!“ Rausch und Gauß mussten zu zweit den tollwütigen Reiner halten. Der raste wieder nach unten in die Sportschule und erklärte den trainierenden Boxern, dass er alles platt machen würde, was sich ihm in den Weg stellte. Gauß und Rausch konnten ihn kaum beruhigen und versprachen ihm, einen Kampf beim nächsten Nachwuchsturnier zu besorgen, doch Reiner wollte gleich den Deutschen Meister boxen. Ein Nachwuchsturnier, das war unter seiner Würde. Doch schließlich konnte man ihn dazu überreden, erst einen Aufbaukampf zu bestreiten, bevor er gegen den Deutschen Meister boxen würde. Trainieren wollte Reiner nicht in der Sportschule. Er meinte, er bräuchte das nicht, er wäre schon fit. Der Tag der Wahrheit näherte sich. Und dann stand Reiner oben im Ring. Ein übler Geruch verbreitete sich im Nu, Wasser hatte Reiner anscheinend schon lange nicht mehr gesehen. Auch im Ring glich er eher einem Schiffschaukelbremser denn einem Boxer. Der dicke Bauch kam nun im engen Trikot so richtig zur Geltung. Reiner war am ganzen Körper tätowiert, die langen pomadigen Haare hingen strähnig herab, dafür hatte er aber die teuersten Boxerstiefel an, die man auf dem Markt bekommen konnte. Sein Gegner war Lohfing vom Boxring Hanau, der ebenfalls seinen ersten Kampf bestritt. War bis dahin das Boxprogramm recht ansprechend verlaufen, so sollten die Zuschauer nun ein Einlage besonderer Art serviert bekommen. Reiner ging mutig in die Ringmitte und versuchte so etwas Ähnliches wie einen Schlag zu landen. Doch Lohfink traf Reiner zuerst. Ausgerechnet auf seinen fetten Bauch. Zunächst grunzte Reiner nur, doch als Lohfink ihn am Kopf traf schrie Reiner: „Aua, Herr Ringrichter, der hat mich getroffen!“ Ringrichter und Sekundanten schauten verdutzt drein. Doch dann riss sich Reiner zusammen und holte zu einem fürchterlichen Schwinger aus, der prompt sein Ziel verfehlte und Reiner, die Balance verlierend, landete in den Ringseilen. Da kniete er nun, pustete und schnaufte wie ein Walross und überlegte, ob er weitermachen wollte. Doch Reiner mutig. Er machte weiter. Er nahm die Fäuste zur Deckung vors Gesicht, schaute linkisch nach unten und tapste wie ein Pussy-Bär durch den Ring. Der nächste Schlag traf Reiner wieder voll am Körper. Man konnte den Schlag bis in die letzte Reihe hören, so klatschte er gegen die schwammige Fettmasse. Das war zuviel. Reiner schrie lauf auf: „Aua, aua, ich kann nicht mehr!“, dann humpelte er heulend in die Eck zu Olaf Rausch und schüttelte den Kopf, das viel sagende Zeichen in der Boxersprache, dass er aufhören wolle. Olaf tat ihm den Gefallen und warf das Handtuch. Auf dem Weg zur Kabine meinte Reiner noch, dass der Abbruch zu früh gewesen sei, das nächste Mal würde es besser. Nun, besser wurde nichts! Reiner wurde nie mehr in der CSC-Sportschule gesehen, dafür aber um so öfters in den einschlägigen Sachsenhäuser Kneipen und immer wieder erzählte er allen, die es nicht hören wollten die Story, wie Tschiskajeno vor ihm gekniffen hatte.
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