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Horst Gauss | |
| Der PopelfreierEigentlich hätte ich den vornehmen und ehrenwerten Herrn Nobel zurechtweisen müssen, als er ungeniert vor meinen Augen in der Nase popelte und nach Herzenslust furzte, aber die Situation war so grotesk für mich, dass es mir ganz einfach die Sprache verschlug ! Meine Tante Erdmuthe - eine ehrwürdige Dame so um die 80 - und ihre unverheiratete Tochter Mimi lebten in einer Wohnung zusammen. Mimi war bereits fünfzig Jahre alt, und natürlich hätte sie eigentlich ganz gerne geheiratet - wobei es ihr, als sie noch hübsch und jung war, an Heiratskandidaten gar nicht mal gemangelt hätte. Aber sie hatte sich halt bei der Auswahl des richtigen Lebenspartners nicht beizeiten entscheiden können, und so war sie etwas jungfernhaft geworden. Ihre Ansprüche an den "Mann fürs Leben" waren einfach zu hoch geschraubt: Der eine Mann war ihr zu klein, der andere zu dick; der eine hatte keine akademische Bildung, der andere war ihr zu plump. Fürwahr keine leichte Angelegenheit - und so verging Jahr für Jahr, und die Aussichten auf den einzigartigen Traumprinzen schwanden immer mehr! Also musste etwas geschehen, damit auch sie noch an der Seite eines gut situierten Mannes ihr Glück finden konnte - überdies war sie als Oberstudienrätin ja auch keine schlechte Partie. Demzufolge entstand der nahe liegende Gedanke, diesen nicht sehr berauschenden Single-Zustand mit einer kleinen Anzeige unter der Rubrik "Bekanntschaften" in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu beenden. Denn meine Cousine hatte ja auch einiges zu bieten, außerdem sah sie beileibe noch durchaus attraktiv aus, zudem war sie den schönen Dingen des Lebens keinesfalls abgeneigt! So kam es dann zu folgender Anzeige: "Gebildeter Herr, Mitte Fünfzig, in guter beruflicher Position für gemeinsame Stunden gesucht! " Und tatsächlich rief ein paar Tage später ein Interessent an. Sein Name war Nobel, und er hatte eine angenehme Stimme und wirkte am Telefon sehr warmherzig. Mimi war sogleich fasziniert von ihm, zumal ihr auch sein Beruf und seine Lebenssituation - er war kaufmännischer Abteilungsleiter in einer großen Elektrofirma, hatte Volkswirtschaft studiert und war seit ein paar Jahren vermögender Witwer - recht viel versprechend erschien. Fürwahr waren alle diese Fakten gute Voraussetzungen für eine eventuelle Lebensgemeinschaft, und Mimi entwickelte fast schon eine Perspektive für eine gemeinsam gestaltete Zukunft. "Wenn er auch noch einigermaßen gut aussieht", so sagte sie hoffnungsvoll zu ihrer Mutter, "dann habe ich ja vielleicht doch noch den richtigen Mann fürs Leben gefunden! " Als sie ihr erstes Rendezvous vereinbarten, lud sie Herrn Nobel ganz spontan zu sich nach Hause ein. Es war ein herrlicher Sommerabend, als es pünktlich zum verabredeten Termin an der Tür klingelte. Tante Erdmuthe und ihre Tochter waren gerade dabei, in der Küche ein paar Appetithäppchen zu schmieren, und beide waren sehr gespannt, wie der ehrenwerte Herr Nobel wohl aussehen würde. Tante Erdmuthe öffnete die Tür, und die alte Dame war gleich auf den ersten Blick von dem Herrn sehr angetan, der da im feinsten grauen Flanell vor ihr stand. Und da der erste Eindruck nun mal der entscheidende ist, ließen sich die Dinge - ihrer Meinung nach - gut an! Herr Nobel war ein gut aussehender, großer, schlanker Mitfünfziger, der höflich den Hut abnahm und der "gnädigen Frau" in charmanter Manier einen wunderschönen Strauß roter Rosen überreichte, bevor er ihr mit einer galanten Verbeugung die Hand gab. Sein Duftwasser war allerdings etwas zu aufdringlich, sodass es den natürlichen Wohlgeruch der Rosen überdeckte. Dennoch gelang es ihm mühelos, mit geschickt gesetzten Worten Tante Erdmuthes Sympathie für sich zu gewinnen. Sie führte ihn auf den Balkon, bat ihn, dort Platz zu nehmen und bot ihm ein Glas Wein an, das er dankend und mit einem teils hinreißenden, teils verlegenen Lächeln annahm. Anschließend bat sie ihn um ein paar Minuten Geduld, da sie schnell noch die Schnittchen fertig machen wollte, und ihre Tochter würde dann ja auch gleich kommen. Alsdann eilte Tante Erdmuthe in die Küche und schwärmte ihrer Tochter in den höchsten Tönen von dem vornehmen Herrn Nobel vor. Mimi wurde immer nervöser, das Herz schlug ihr bis zum Hals, und es hatte sich eine leichte Röte über ihr sorgfältig geschminktes Gesicht gelegt. Endlich, so schien es, konnte ihr Herzenswunsch vielleicht doch noch in Erfüllung gehen! Die beiden Frauen dekorierten ihre Häppchen-Kreation jetzt mit noch mehr Hingabe und legten noch ein paar Gürkchen und noch mehr Paprika auf, sodass die Platte nicht nur für den Appetit, sondern auch für das Auge ein anregender Impulsverstärker war. In diesem Moment klingelte es erneut - diesmal stand ich vor der Tür! Ich hatte meinen Besuch bei den beiden Damen nicht angekündigt, und ich merkte sofort, dass mein plötzliches Erscheinen ihnen gar nicht ins Konzept passte. Dementsprechend erfolgte der Empfang durch meine Tante Erdmuthe auch verhältnismäßig knapp und kühl. Und da sich beide so auffallend gut zurechtgemacht hatten, war mir natürlich klar, dass sie etwas ganz Besonderes vorhatten. Aber ich konnte ja von dem Anstandsbesuch des ehrenwerten Herrn Nobel nichts ahnen, und ganz sicher sollte ich auch nichts davon erfahren. Das war schließlich ein Geheimnis zwischen Mutter und Tochter. Ich bat also, nur mal schnell ins Bad gehen zu dürfen, da ich ein dringendes Bedürfnis hatte, außerdem wollte ich mich ein bisschen frisch machen. Vom Fenster im Bad aus konnte ich dann direkt auf den Balkon schauen, ohne dass ich von dort gesehen wurde. Und was erblickten meine entsetzten Augen: Da saß ein älterer, elegant gekleideter Herr - nämlich jener Herr Nobel, von dessen Antrittsbesuch ich natürlich nichts wissen durfte! - und popelte ungeniert in seiner Nase. Ich traute meinen Augen nicht! Und dann - ich konnte es nicht fassen - steckte er sich das, was er herausgefummelt hatte, auch noch in den Mund und aß es auf. Es ekelte mich nur beim Hingucken! Ich betrachtete mir die Szenerie einige Minuten und überlegte, wer der Typ wohl sein könnte. Und dann, mir verschlug es fast den Atem, ließ der Typ auch noch laut und vernehmlich einen fahren, bevor er sich ein weiteres Glas Wein einschenkte und einen kräftigen Schluck davon nahm. Zudem murmelte er immerzu etwas vor sich hin, als wolle er für einen wichtigen Auftritt proben, und mehrmals machte er linkische Verbeugungen, als wolle er jemanden mit formvollendeter Grandezza begrüßen. Ich fand das alles sehr seltsam und überlegte mir, wer dieser sonderbare Zeitgenosse wohl sein könnte, und ob ich meiner Tante und meiner Cousine meine Beobachtung vielleicht besser mitteilen sollte! - Aber eigentlich ging es mich ja gar nichts an, demnach konnte es mir doch piepegal sein. Sollte der Mann auf dem Balkon doch ganz nach Belieben popeln oder pupsen. Nachdem ich das Bad verlassen hatte schaute ich noch mal kurz in die Küche. Dort waren die beiden Frauen mit solch einer eifrigen Betriebsamkeit und solch einer freudigen Erregung zugange, dass ich nur noch staunen konnte. Sie belegten die Schnittchen liebevoll mit Leberwurst und mit Salami, und auch eine weitere Flasche Wein stand schon parat. Offenbar freuten sich die beiden Damen sehr über den Besuch von Herrn Nobel, und da war meine Gegenwart ganz und gar nicht erwünscht. Das verstand ich ja auch! Hätte ich doch nur vom Ansatz her geahnt, dass ich diese zart sprießenden Bande mit meinen flapsig und einfach so dahingesagten Worten so leichtfertig zerstören würde ... - ich hätte mir wohl lieber auf die Zunge gebissen. Dass ich durch meine Unbedachtheit alle ihre Erwartungen und Träume jäh zerstören sollte, verzeihe ich mir heute noch nicht! So nahm das Verhängnis also seinen Lauf! An der Küchentür rief ich den beiden Frauen zu: "Tschüß, ich geh' dann wieder! " Sie schienen erleichtert zu sein. Einen Moment hielt ich inne, als hätte ich etwas vergessen und müsste erst noch überlegen, wie ich es ihnen beibringen sollte. Aber dann purzelten die Worte ganz eigendynamisch aus mir heraus: "Ach ja, was ich noch sagen wollte: auf dem Balkon sitzt so'n komischer Typ. Der bohrt sich in der Nase und verpestet mit seinen Fürzen die Luft. Gehört der etwa zu euch? Soll ich den mal eben rausschmeißen? " Tante Erdmuthe und Cousine Mimi hatte es nach meiner freimütigen Offenbarung ganz offensichtlich die Sprache verschlagen - beide blickten mich mit großen, ungläubigen Augen an - bei Mimi war sogar so etwas wie ein leichter Vorwurf zu erkennen. Tante Erdmuthe war auf jeden Fall recht ungehalten. Sie packte mich unsanft am linken Oberarm und schupste mich wortlos aus der Küche. Ich war mir nicht so ganz im Klaren ... - hatte ich etwa etwas Verkehrtes gesagt?! Ich habe nie erfahren, wie die Begegnung zwischen meiner Cousine Mimi und diesem Herrn Nobel vonstatten ging. Und ob die so hübsch dekorierten Schnittchen an diesem Abend gut gemundet haben, das weiß ich auch nicht. Aber Herrn Nobel habe ich auf jeden Fall niemals wiedergesehen! |
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