Horst Gauss

Berlin ist eine Reise wert !

Berlin ist eine Reise wert ...

Wenn die Boxstaffel des CSC Frankfurt in Berlin gegen die Neuköllner Sportfreunde oder gegen den Boxring Berlin zum fälligen Ligakampf antreten musste, dann gab es meistens ordentlich eines auf die Ohren.

Trotzdem war Berlin immer ein besonderes Erlebnis und viele CSC-Fans nahmen die Gelegenheit wahr um ein paar nette Stunden in Berlin mit der CSC – Boxstaffel zu verbringen.

Es war am 21. März 1982 und der CSC musste zum fälligen Auswärtsstart nach Berlin zu den Neuköllner Sportfreunden.. Der CSC boxte damals noch in der zweiten Liga und hatte just an jenem Tag wahnsinnige Aufstellungsschwierigkeiten. Mehrere Boxer waren verletzt oder hatten die Handschuhe an den berühmten Nagel gehängt, sodass Ulf Rausch, der rührige Sportwart des CSC den Berliner Kampftag schon absagen wollte. Doch das hätte natürlich einen Riesen-Ärger gegeben und so musste er sich etwas einfallen lassen um doch noch mit einer Boxstaffel die sportlich hoffnungslose Reise anzutreten.

Wie immer, folg der CSC nach Berlin um den Boxern die strapaziöse Busreise zu ersparen, und wie immer waren viele Interessenten für diesen Flug zu begeistern.

55 fröhlich gesinnte Schlachtenbummler bestiegen dann auch das Flugzeug nach Berlin, um einmal ihrer Mannschaft den Rücken zu stärken, zum anderen aber auch um dort eine feucht-fröhliche Nacht zu verbringen. Schon während des Fluges kamen die ersten neugierigen Fragen der Insider, wo denn wohl die Boxer seien, denn außer Dieter Holm und Jose Varela konnte man beileibe keinen Boxer ausfindig machen. Freilich drückten sich da noch so ein paar blasse Jüngelchen herum und auch „Micky Scholz “ auch Micky Dick genannt, die CSC-Lachkanone, war an Bord., sicherlich nur zur Gaudi und nicht zum Boxen. Doch man sah keinen Hubertus Einschütz, keinen Hobby Gauß, keinen Peter Keller, keinen Dieter Schütze und keinen Thomas Schuch, all die Boxer, die sonst die Boxszene in der Sporthalle Süd belebten.

Sollten die Boxer mit einer anderen Maschine fliegen?

Auf die Fragen der Boxfans, wo denn die Boxer seien, antwortete Ulf Rausch stets ein wenig verlegen: „Lasst Euch mal überraschen“!

In Berlin quartierte sich der CSC wie immer im Hotel „Majestik“ in der Brandenburgischen Straße ein und dann machten sich alle Schlachtenbummler auf und davon um Berlin zu erobern. “Ku-Dorf“ und “Ku-Damm-Karree“, “Sperlingsgasse“, usw., kurzum, Berlins Touristenroute war für eine Nacht fest in Frankfurter Hand.

An Boxen dachte keiner, warum auch, das war ja noch so weit weg.

Es wurde wie immer eine feucht-fröhliche Nacht mit vielen Alkoholleichen.

Am nächsten Morgen zog dann die ganze Crew zu „Schultheiß“ in die Hasenheide, jene ehrwürdige, alte Berliner Kampfstätte, die schon so manchen denkwürdigen Kampftag erlebt hatte. Sowohl Profis, als auch Amateure gaben hier ihre Visitenkarte ab und nun auch der CSC Frankfurt. Die Frankfurter Schlachtenbummler sahen sehr übermüdet aus, die meisten hatten ja gar nicht geschlafen. Einige hatten sogar schwarz-weiße CSC-Fahnen mitgebracht, die nun lustig über den langen Biertischen wehten, die Ulf Rausch für die Mitreisenden hatte reservieren lassen.

250 erwartungsfrohe Zuschauer freuten sich auf einen spannenden Kampftag, denn die Frankfurter mussten ja eine sehr gute Staffel haben, hatten sie doch daheim in Frankfurt 13.:11 gegen die Neuköllner Sportfreunde gewonnen.

Einige Frankfurter Fans schlossen untereinander Wetten ab, wie hoch der CSC wohl gewinnen würde !

Und endlich war es so weit !

Pünktlich 10.00 Uhr erklang die Einmarschmusik, es war der Gladiatorenmarsch, der die Emotionen so richtig anheizte und unter dem Jubel der Zuschauer enterten die Boxer der beiden Städte den Boxring. Berlin hatte eine starke Staffel mit Ralf Rocchigiani. Doch was waren das da oben für Frankfurter Jungs. Den mitgereisten Fans blieb die Spucke weg. Außer Holm und Varela kannte sie keinen , ach ja und dann stand da auch noch Micky Scholz oben, den man eigentlich nur als Tourist vermutet hatte und der schon lange nicht mehr geboxt hatte. Er stand da mit einem breiten Grinsen im Gesicht und wirkte angetrunken. Was ging hier vor, wer waren denn die anderen Boxer?

Hatte Ulf Rausch die CSC–Staffel extra für diesen Kampftag mit fremden Boxern verstärkt ?

Auch Dieter Holm alberte oben im Ring herum und wirkte angeheitert. Die Frankfurter Schlachtenbummler diskutierten noch über diese komische Staffel,. da ging es schon Schlag auf Schlag. Im ersten Kampf im Federgewicht boxte Michael Homeier, ein blasses Jüngelchen, den Frankfurter völlig unbekannt. Ein Afäng mit erst sechs Kämpfen, der sich freiwillig bereit erklärt hatte, das Opferlamm zu spielen, weil der CSC keinen anderen Federgewichtler hatte. Der Kampf dauerte drei Minuten, dann hatte der Berliner Puhlmann gewonnen. Die Frankfurter Boxfans waren natürlich enttäuscht, doch der nächste Kampf würde bestimmt besser werden. Weit gefehlt! Gerd Homeier, ebenfalls als Ersatzmann kurzfristig, dem CSC zuliebe, eingesprungen, stand im Leichtgewicht gegen Michael Gusnik, ein großes Berliner Talent, eine Minute, dann flog zum zweiten Mal das Handtuch. Ulf und Olaf Rausch schämten sich. Sie konnten nun wahrlich nichts für diese Panne. Doch das war nur der Anfang der Peinlichkeiten.. Im Halbweltergewicht boxte ein den Frankfurter Schlachtenbummlern völlig unbekannter Türke namens Sahin gegen Michai Quaisser, den Berliner Nationalstaffelboxer, und Olaf Rausch warf zum dritten Mal das Handtuch. Diesmal schon in der ersten Minute.

Drei Kämpfe waren vorbei, fünf Minuten hatten sie gedauert, das war sicherlich ein neuer Minus-Rekord. Zwei Kämpfe standen den erstaunten Zuschauern noch bis zur Pause bevor. Jetzt kam im Weltergewicht wieder ein Frankfurter Boxer in den Ring, den niemand kannte. Es war Michael Hahn vom Boxring Neu-Isenburg, der ebenfalls selbstlos Rausch zugesagt hatte, um auszuhelfen. Doch hatte sich Hahn sein Bundesliga-Debüt bestimmt anders vorgestellt. Nach 30 Sekunden hatte ihn Radtke von den Neuköllner Sportfreunden so hart getroffen, dass Olaf wiederum das Handtuch werfen musste.

Vier Kämpfe in 5 ½ Minuten. Das hatte es in Deutschland sicherlich noch nie gegeben.

Berlins Boß Günter Meyer, ein prächtiger Kerl, der schon viel in seiner Funktionärs - Karriere wegstecken musste, stand irgendwo in einer Ecke, schämte sich fürchterlich und schüttelte immer nur den Kopf. Wie sollte er dieses merkwürdige Geschehen da oben im Ring seinen Zuschauern verkaufen?

Jetzt konnte es nur besser werden, denn mit mit dem Halbmittelgewichtler Jose Varela, den in Frankfurt jeder kannte, kam endlich ein Mann in den Ring, von dem man einiges erwarten durfte. Sein Gegner, Olaf Rempucewski war ebenfalls ein sehr guter Boxer. Aufatmen im „Schultheiß“ in der Hasenheide. Der Morgen schien gerettet. Doch das vermeintliche Glück währte nicht lange. Irgendwie erwischte Jose den Berliner unglücklich, der jedenfalls lief schon nach einer Minute mit einer klaffenden Kopfwunde im Ring herum und der Kampf musste in der zweiten Runde abgebrochen werden.

Fünf Kämpfe waren in zehn Minuten erledigt, der Minus-Rekord nahm neue ungeahnte Dimensionen an , fürwahr ein trauriges Ereignis.

Und schon war die Pause da !.

Als Pausen-Attraktion hatte Günter Meier das frisch gebackene Berliner Weltmeisterpaar im Rock an Rolltanz engagiert. Die beiden sollten insgesamt 10 Minuten in der Pause tanzen, die aber allerdings erst für eine Stunde später geplant war.

So mussten die beiden eine Stunde früher ran. Doch was dann im Ring oben abging, entschädigte die bisher enttäuschten Zuschauer. Das Berliner Weltmeisterpaar legte solch einen tollen Rock and Roll hin, dass die Zuschauer begeistert mitgingen. Wie gesagt, eigentlich sollte das Paar nur 10 Minuten auftreten, doch aufgrund der voraus gegangenen kurzen Kämpfe mussten die beiden auf Bitten und Drängen von Berlins Manager eine Stunde lang tanzen um das Programm zu strecken.

Nach der Pause kam dann endlich der Mann, dessentwegen die meisten Boxfans von Frankfurt mitgereist waren, nämliche Dieter Holm, der Sachsenhäuser Lokalmatador. Er hatte Berlins großes Talent, den süäternen Profi – Weltmeister Ralf Rocchigiani als Gegner. Ein großer Kampf durfte also erwartet werden. Doch auch dieser Kampf reihte sich in die voraus gegangenen „Minuten-Fights“ ein, nur unterschied er sich von den anderen dadurch, dass Olaf Rausch nicht das Handtuch werfen brauchte, den Dieter Holm war nach einer Minute „platt“. Eine volle Rechte von Rocchigiani hatte ihn gleich zu Kampfbeginn dahingestreckt. Es war Dieters zweite k.o.-Niederlage und auch seine letzte in seiner langen Laufbahn.

Wie konnte so etwas passieren?

Was war da geschehen?

Dieter Holm, der schon in Frankfurt um die Misere der Frankfurter Staffel wusste, wollte gar nicht mitfahren. Denn mit solch einer Staffel bestand ja nicht die geringste Chance auf einen Sieg. Wenn er sich dann aber letztendlich doch zu diesem Berlin-Abenteuer überreden ließ, dann, so sagte er sich zurecht, wolle er aber Berlin mal richtig genießen. Wie oft hatte er hier schon geboxt, sich gequält um topfit im Ring zu stehen. Diesmal nun, mit der Gurkenstaffel, konnten sie ihn alle mal .....

Dieter haute sich die Nacht um die Ohren, natürlich mit seinem Busenfreund Micky. In dieser Hinsicht ergänzten sich die beiden prächtig. Als Dieter dann bei der ärztlichen Untersuchung versuchte, eine gute Figur zu machen, da schienen alle Tricks nicht zu helfen, denn alle Boxer und Funktionäre amüsierten sich über Dieters heiteres Auftreten. Der Ringarzt schaute ihn merkwürdig an und fragte ihn, ob ihm nicht wohl sei?

Ob er Magenweh habe, und ob ihm wohl wäre !

Und ob Dieter Holm wohl war, so wohl war ihm schon lange nicht mehr !

Auf die Frage, ob er Alkohol getrunken habe, meinte Dieter leutselig, dass er vor dem Kampf immer einen Jägermeister zur Belebung des Kreislaufes zu sich nehmen müsse, dass er aber ansonsten alkoholischen Genüssen nicht fröne. Ein wenig ungläubig schaute ihn der Doktor an, doch dann hatte er sein „O.K.“ gegeben und Dieter stand seinem CSC zur Verfügung. Das Drama im Ring folgte. Doch nach zehn Sekunden stand Dieter wieder auf, die Niederlage war schnell vergessen, nur die Zuschauer schauten merkwürdig drein. Sechs Kämpfe waren vorbei und sie hatten gerade mal elf Minuten Boxen gesehen.

Doch da kam im Halbschwergewicht schon wieder ein Boxer in den Ring, den keiner vom CSC kannte. “Elvis“ Hansen von der SG Sosenheim gab sein Bundesliga-Debüt und er machte im Gegensatz zu seinen Vorgängern seine Sache gut. Er kam mit dem mehrfachen Berliner Meister Gerd Manthey gut über die Runden, nur nach Punkten verlierend.

Sollte Elvis durch seine gute Leistung damit den „ Deutschen Minus – Rekord“ verdorben haben ? Immerhin waren es bis zu seinem Kampf 6 Kämpfe in 11 Minuten, die die Zuschauer gesehen hatten, doch dadurch, dass Elvis über die Runden gegangen war, waren es jetz 12 Minten mehr, also insgesamt 23 Minuten “Bundesligaboxen“.

Doch der CSC hatte noch ein minus - rekordverdächtiges Trumpf-As im Ärmel !

Denn den letzten Kampf des mysteriösen Morgens bestritt im Schwergewicht CSC – Ersatzmann Micky Scholz . Die Zuschauer, die sich zwischenzeitlich an die Frankfurter Katastrophen-Staffel gewöhnt hatten, lachten jetzt alle mit, sahen alles nicht mehr so eng, hatten sie doch an diesem Morgen zwar Boxen sehen wollen, stattdessen bekamen sie aber für wenig Geld eine bühnenreife Komödie zu sehen und eine wirklich erstklassige Rock and Roll-Einlage. Außerdem hatte der Alkohol sowieso die Sinne getrübt .

Was sollte es also !

Und Micky machte dann zum Abschluss der CSC-Staffel auch alle Ehre. Er musste gegen einen fürchterlichen finster dreinschauenden Neger namens Thime boxen,

“Entschuldigung, nicht boxen, sondern Theater spielen“!

Was sollte er auch anderes machen, der arme Micky, der ebenfalls kurzfristig ohne Training eingesprungen war und zudem noch die ganze Nacht mit seinem Freund Dieter Holm durchgemacht hatte. Der Gong ertönte. Ein schwarzes Energiebündel schlug einen rechten Schwinger, erwischte den „Dicken Micky“ am Kopf, der ließ sich unter Aufbietung seiner Kräfte theatralisch zu Boden plumpsen, dass der ganze Ring erbebte, ohne aber zu versäumen, seinen Freunden in der ersten Reihe am Ring noch zuzublinzeln. Dann drehte er sich auf den Rücken, streckte alle Viere von sich und wäre sicherlich gern liegen geblieben, um seinen Rausch auszuschlafen.

Das „Einmaleins“ des Ringrichters war völlig überflüssig, auch Olafs Handtuch, das in den Ring geflattert kam und nun seinen mächtigen Bauch zudeckte, war unnötig. Micky war beileibe nicht „k.o.“, aber fast jeder Zuschauer in der Halle dachte, er wäre es. Immerhin hatte er fast 20 Sekunden stand gehalten. Eine der „merkwürdigsten Veranstaltungen“ war zu Ende. „Schultheiß in der Hasenheide“ hatte schon viele große und denkwürdige Kampftage erlebt. Zur Kategorie der großen Kampftage konnte man dieses seltsame Ringtreiben sicherlich nicht zählen, sicherlich aber zur Kategorie der denkwürdigen Kampftage, denn es ist unwahrscheinlich, dass der Minus-Rekord von 8 Kämpfen in 23 Minuten und 20 Sekunden bis heute noch einmal gebrochen wurde !

Ach ja, das Endergebnis für Berlin, 15:9!

“Na, toll“!