Horst Gauss

Der große, böse Wolf....

Was wäre der Boxsport ohne die vielen Anekdoten, die sich um die Ringhelden ranken.

Da passierten schon die seltsamsten Dinge, die dann noch viele Jahre die Runde machten.

Auch beim CSC gibt es Storys, die man sich immer wieder am Stammtisch erzählt und die in der Erinnerung fortleben. Die DABV – Gewaltigen mögen im Nachhinein den einen oder anderen Verstoß verzeihen. Verjährung gibt es sicherlich auch bei den Boxern. Die meisten erinnerungswürdigen Ereignisse fanden komischerweise in Bayern statt.

Und so geschah es auch am 13.06.1971, dass der CSC zu einem Clubkamp (Doppelstart) in Selb verweilte.

Schon tags zuvor hatte der CSC fürchterlich auf die Ohren bekommen und beim Zweitstart am Sonntagmorgen gab es echte Aufstellungsschwierigkeiten. Die Bayern hatten die Besetzung ihres Lokalmatadores Erich Seidel zur Bedingung gemacht.
Seidel war seinerzeit Deutscher Vizemeister im Schwergewicht, der Deutsche Kronprinz auf Hussings Schwergewichtstitel, ein satter und properer Bauernbursche, so richtig nach dem Geschmack der Bayern, 100 Kilo schwer und schon mehrfacher Bayernmeister. Eigentlich sollte Dieter Schütze gegen ihn boxen, doch Dieter hatte sich beim Erststart verletzt und konnte unmöglich antreten. Nun war guter Rat teuer. CSC-Geschäftsführer Herbert Wolf sah schon die Hälfte der vereinbarten Kampfpauschale schwinden, denn dieser Abzug war vereinbart, falls Seidel nicht besetzt würde. Doch die Bayern kannten Herbert Wolf schlecht. Bei der Zusammenstellung der Kampfpaarungen stand plötzlich Herbert Wolf, ein guter Mittdreißiger und schon seit Jahren nicht mehr im Ring, auf dem Meldebogen. Erstauen bei den Bayern, vielleicht hatten die Frankfurter ja noch einen Namensvetter mitgebracht. Überraschung und Bewunderung aber auch bei den CSC-Boxern, dass sich Herbert opfern wollte. Zu der fehlenden Ringpraxis kam noch hinzu, dass Herbert rund 20 Kilo leichter war. Doch das machte Herbert nichts aus. Ein mitgereister Frankfurter Boxfan, Jürgen Bauer, hatte eine Schmalfilmkamera dabei und wollte alles mitfilmen. Unter dem Jubel der 1.500 Zuschauer betrat Günter Seidel, der jugendliche Held, den Ring. Ein Raunen ging durch die Zuschauer als er seine 100 Kilo durch die Seile schwang und der Ring, der auf unebenem Boden aufgebaut war, ächzte und quietschte. Dann erschien Herbert Wolf, ein im Vergleich zu Seidel schmächtig wirkendes Männlein im Ring und das Publikum fing an zu lachen. Was wollte den der alte Mann gegen ihren Lokalmatador ausrichten. Der Gong ertönte und die Zuschauer erwarteten ein schnelles Ende. Doch welch seltsames Geschehen da oben im Boxring. Da stand ein furchtbar grimmig schauender Herbert Wolf einem zögernden Seidel gegenüber. Wolfs Minenspiel konnte schon Furcht einflößen, das wussten auch die CSC-Boxer, dann kamen da noch seine angedeuteten Finten und geschickte Oberkörper –Bewegungen dazu. Wolf war schließlich in früheren Jahren mehrmals württembergischer Meister im Weltergewicht gewesen, aber das war ja schon so lange her. Kurzum, in der ersten Minute geschah eigentlich nicht, außer, dass Herbert Wolf fürchterlich grimmig dreinschaute und Seidel mit einigen linken zaghaften Geraden verblüffte. Plötzlich war es mucksmäuschenstill im Zelt geworden, man hätte eine Stecknadel fallen hören können, der Kameramann Jürgen Bauer hatte noch nicht eine Filmaufnahme gemacht, so überrascht war er von Herberts forschem Auftreten. Jetzt kam Herbert größter Auftritt. Aus sicherer Distanz Seidel gegenüberstehend, stampfte er kräftig mit den linken Fuß auf den wackeligen Ringbelag. Wie ein Donnerwetter schallte dieser Auftritt auf die quietschenden Bretter durch das still gewordene Bier - Zelt. Wild und grimmig dreinschauend, mit pendelndem Oberkörper, einen Schwinger andeutend, stampfte Herbert durch den Ring, der verdutzte Seidel im Rückwärtsgang. Herbert stampfte noch mal kräftig, seine Blicke waren tödlich, Seidel total verwirrt. Die moralische Wirkung war eine Ungeheuerliche.

Nicht nur Seidel war verdutzt. Auch sein Sekundant bekam vor Stauen den Mund nicht auf und das Publikum verharrte noch immer in Schweigen und wusste nicht mit diesem Kampf anzufangen. Einem Kampf, der überhaupt keiner war. Doch schon wieder hatte Herbert mit dem linken Fuß gestampft und einem wilden rechten Schwinger in die Luft geschlagen. Seidel verstand die Welt nicht mehr. Es war überhaupt nichts geschehen und schon war die erste Runde vorbei. Jetzt begann das Publikum zu pfeifen, hatte es doch nun den großen Bluff begriffen und wollte nun endlich Boxen sehen und nicht nur einen Furcht einflößenden, wild um sich stampfenden, alten Mann, der den Lokalmatador bluffte. Was der arme Erich Seidel in seiner Ecke zu hören bekam, als der Pausengong ertönte, wird er sicherlich nie vergessen. Das Geschrei des Sekundanten verstand man noch am Zelteingang. Doch nicht nur er, auch der Hilfssekundant und Freunde kamen zu Seidel in die Ecke und erklärten ihm, dass das doch alles Bluff sei, er sollte doch mal richtig hinhauen, was er für ein Waschlappen sei usw. Die Kopfwäsche war fürchterlich. In der anderen Ecke stand unser armer Herbert Wolf und hörte jedes Wort mit. Das musste ja fürchterlich werden in der zweiten Runde. Vier oder fünf Personen hatten auf Seidel in der Rundenpause eingeredet, hatten ihn förmlich aufgeputscht. Und da saß immer noch der verdutzte Kameramann Jürgen Bauer. Bis jetzt hatte er noch nicht einmal gefilmt, so war er von Herbert Wolf überrascht gewesen. „Jetzt mach endlich mal Aufnahmen, lang dauert es nicht mehr!“ rief ihm Herbert Wolf noch zwinkernd aus der Ecke zu, als auch schon der Gong zur zweiten Runde ertönte und Seidel wie eine Dampfwalze über unseren guten Herbert hinwegrollte. Jürgen Bauer hob die Kamera und begann zu filmen. Herbert hing nach dem ersten Schlaghagel in den Seilen, wurde angezählt, zwinkerte noch ins Publikum, erhob sich und ließ Seidel noch mal kräftig unter dem Gejohle des Publikums hinlangen. Natürlich hatte er sich, der alte Fuchs, hinter einer guten Doppeldeckung verschanzt, doch das Publikum wollte nur den entfesselten Seidel sehen und......

Der Jubel kannte keine Grenzen mehr, als Herbert die Hand zum Zeichen der Aufgabe hob, ohne auch nur einmal ernsthaft getroffen worden zu sein. Doch das hatte niemand so richtig bemerkt. Somit waren eigentlich alle zufrieden. Die „Selber“ Funktionäre hatten ihren Kampf, das Publikum hatte seinen Sieger, der CSC bekam seine volle Pauschale ausgezahlt, nur der Hauptdarsteller dieser Komödie war zu kurz gekommen. Denn als man sich im Frankfurter Südbahnhof den Kampffilm der Veranstaltung und insbesondere natürlich den Auftritt von Herbert Wolf ansehen wollte, da hatte der liebe Jürgen Bauer alle Kämpfe wunderschön aufgenommen, nur der letzt Kampf war zu kurz geraten. Da sah man lediglich einen in den Ringseilen baumelnden Herbert Wolf, der Komödie vorletzter Akt.

Der letzte Akt spielte auf der Frühjahrsmesse 1986 in Frankfurt. Da begegneten sich die beiden wieder. Seidel inzwischen Cheffahrer bei der Firma Rosenthal und Herbert als Besucher. Grimmig ging Herbert auf Seidel zu, beide lachten herzlich, schüttelten sich die Hände und hatten sich viel zu erzählen.............